Samstag, 16. Mai 2015

Wie wirkt sich das deutsche Schulsystem auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus?

Das Thema „Deutsches Schulsystem aus der Sicht von Schülern“ lässt sich meiner Meinung nach nicht kurz halten. Man kann die Probleme, die immer offensichtlicher werden, nicht in einen 140 Zeichen Tweet stecken, der von Gedichtsinterpretationen in 3 Sprachen handelt. Man kann die Schuld nicht nur auf eine einzige Person schieben und man kann allgemein über das Thema Schule stunden-, wochen- und jahrelang debattieren und diskutieren. Zu einem Ergebnis würde man trotzdem nicht kommen.

Wenn man nach einer Einleitung, einem Hauptteil und einem Schluss sucht, muss man den Kontext schon ziemlich intensiv durchwühlen und selbst dann blickt man in dem ganzen Bildungswesensdurcheinander kein bisschen durch.

Dennoch gibt es ein paar Grundthemen, über die sich die Öffentlichkeit permanent aufregt, und genau da möchte ich hier weitermachen. Ich möchte mich auch mal so richtig aufregen.

Ich bin jetzt 18 Jahre alt, mache gerade mein Abitur, habe alle Prüfungen hinter mir und kann also ein Résumé ziehen.

Wenn ich den Satz „Jaja, wenn du erwachsen bist, wirst du dich noch nach deiner Schulzeit sehnen!“ höre, will ich schon schreien und um mich schlagen. Die einzige Zeit, die ich vermissen werde, ist die Grundschulzeit (obwohl auch die durch Mobbing überschattet wurde), weil man da noch Kind sein durfte. Weil man da noch genug Zeit hatte, um den Stoff zu lernen. Weil man da noch nicht drei Arbeiten in einer Woche geschrieben hat, während man sich auf zwei Referate vorbereiten, eine Unterrichtsstunde gestalten und sich Ausreden ausdenken musste, damit man nicht beim Schwimmunterricht mitmachen musste.

Ich muss ehrlich gestehen, ich bin gerne zur Schule gegangen, bis zuletzt. Einfach weil man einen geregelten Tagesablauf hat, weil man nicht so viel über sich selbst nachdenken konnte und weil man einfach etwas hatte, hinter dem man sich verstecken konnte. Einen Schutz, eine Sicherheit.

Trotzdem muss ich sagen, dass ich, sobald ich erfahren habe, dass G8 eingeführt werden soll, einfach nur weinen und mich verkriechen wollte. Ensthaft, wer hat sich diesen Müll ausgedacht, wer hat sich PISA ausgedacht, welcher Idiot saß irgendwann an seinem Schreibtisch und dachte „Poah, die Welt hat ja nicht schon genug Probleme, lasst uns eine Studie einführen, die dafür sorgt, dass sich Schüler aufgrund des Drucks durch wöchentliche Tests, massenweise Hausaufgaben und 10 Stunden Unterricht am Tag irgendwann alle umbringen wollen! Ist doch witzig!“

Ich will wirklich einfach nur schreien. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber wenn ich Sätze wie „Unserer Jugend fehlen wichtige Grundkenntnisse in Mathemathik und naturwissenschaftlichen Fächern!“ lese, möchte ich meinen Kopf nur noch gegen die Wand schlagen. Es ist wirklich SCHEIßEGAL, wie gut man in Mathe oder Physik oder Chemie ist, wenn man sich nicht vorstellen kann in einem dieser Themengebiete zu arbeiten.
Was ich persönlich WIRKLICH gerne in der Schule gehabt hätte, anstelle von solchen theoretischen Fächern mit denen ich nie wirklich etwas anfangen konnte, wäre etwas Praktisches. Kochen, Handwerken, Hauswirtschaft. So was halt. Ich weiß, dass es immer noch vereinzelt Schulen gibt, die so etwas lehren, aber wieso ist das nicht mehr deutschlandweit ein Thema?

Ich möchte nicht behaupten, dass ich durch die Schule nichts gelernt habe, aber ich werde niemals später im Supermarkt stehen und berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit das ungeschnittene Graubrot oben rechts im Regal in einem 90 Grad Winkel auf den Boden fällt.
Aber an den Herd traue ich mich ohne Aufsicht oder zumindest einem Telefon in der Nähe (falls doch die Feuerwehr kommen muss) nicht, beim Nähen muss ich aufpassen, dass ich meinen Finger nicht an das Kissen nähe oder verblute, Möbel zusammenbauen habe ich mir selbst beigebracht.

Natürlich haben die Eltern einen großen Teil dazu beizutragen, dass ihre Kinder die grundsätzlichen Dinge des Lebens erlernen. Aber trotzdem, wieso darf man nicht einfach selbst entscheiden, welchen Schulweg man in seinem Leben gehen möchte? Wieso kann man nicht sagen „Hey, ich würde gerne ein Jahr anstelle von Mathe den Kochkurs belegen!“? Sicher, das würde ein riesiges Durcheinander mit den Kursen geben und es würden auch nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Aber irgendwo anzufangen die Schüler in einem DEMOKRATISCHEN politischen System miteinzubeziehen wäre ja schon mal ganz nett.

Ich will hier jetzt auf keinen Fall sagen, dass meine Vorschläge perfekt sind, denn das sind sie nicht. Es sind wohl eher Wunschvorstellungen einer frustrierten Jugendlichen, die sich 12 Jahre durch die Schulzeit gequält und es einfach satt hat.

Dennoch, hier ein Auslöser für meinen Hass gegen die Bildungspolitik:
Ich habe nach der 9. Klasse Französisch abgewählt – aus Gründen.
Ich habe mich dann für Spanisch entschieden, da es meiner Muttersprache italienisch sehr nahe kommt (und ich Physik und Chemie abwählen wollte).
Sicherlich habe ich in den 3 Jahren Spanisch einiges lernen dürfen. Zum Beispiel könnte ich mich fließend über die Immigration zwischen Afrika und Spanien unterhalten. Oder Kinderarmut. Oder einen spanischen Roman, dessen Inhalt ich bis heute wiedergeben kann, ohne ihn jemals richtig verstanden zu haben.
Die Frage ist jetzt nur: Werde ich jemals nach Mallorca in den Urlaub fliegen und mich mit einem Einheimischen darüber unterhalten, welche Vor- und Nachteile die Agrarwirtschaft hat? Oder will ich einfach nur nach der besten Tapasbar fragen? Ich denke, dass sich das selbst beantwortet.

Man lernt in der Schule mit absoluter Sicherheit irgendwas, aber mir stellt sich die Frage danach, ob der Stoff, den man sich vor Klausuren in sein Kurzzeitgedächtnis prügelt, um seine Leistungen wenigstens dann erbringen zu können, auch wirklich unbedingt notwendig ist. Alle Lehrer beschweren sich ständig darüber, dass sich ihre Schüler nicht für den Unterricht interessieren, aber ist das bei Themen, die einem für das weitere Leben eigentlich nur wenig oder wenn nur kurzzeitig etwas bringen, ein Wunder?

Und wo wir ja jetzt schon beim Kurzzeitlernen angekommen wären, stellt sich eigentlich nur noch die Frage. Was stellt der ganze Mist überhaupt mit Kindern und Jugendlichen an?

Diese ganzen Bildungsminister und Anzugträger, die behaupten die große Ahnung von allem und jedem innerhalb eines Schulgebäudes zu haben, haben in Wirklichkeit mit hunderprozentiger Sicherheit seit Jahren, wenn nicht Jahrzenten, keine Schule mehr von innen gesehen. Die haben ihre Sekretäre, die ihnen statistische Informationen zum Mund reden und aufgrund dieser dann einfach beschließen, Schulsysteme mehrmals im Jahr einfach umzuwerfen.

Nur für diese scheiß Statistik.

Aber was die meisten dieser Möchtegernschlaumeier vergessen ist, dass Schüler Menschen sind. Wir sind einfach nur Menschen. Kinder und Jugendliche, die unter dem ganzen Schulstress und Leistungsdruck so leiden, dass sie ihre Persönlichkeitsausbildung total in den Hintergrund schieben und sich gar nicht darauf konzentrieren können, überhaupt eine Identität zu entwickeln, weil sie beschäftigt sind Leistung abzuliefern. Leistung, Leistung, Leistung.

Was für Stoff vermittelt wird ist mittlerweile schon scheißegal, die Hauptsache ist doch, dass Deutschland im internationalen statistischen Vergleich gut abschneidet und sich mit guten Ergebnissen brüsten kann. Aber haben Industriestaaten so etwas wirklich nötig? Gibt es nicht wichtigere Dinge auf der Welt, um die man sich wirklich kümmern sollte?

Das Schlimmste ist allerdings, dass es den meisten überhaupt nicht auffällt, wie krank Schüler durch die Schule werden. Dabei spreche ich von psychischen Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen, von Panikattacken, Versagens- und Zukunftsängsten. Es stehen uns Jugendlichen in dieser modernen Welt so viele Türen offen und wir haben überhaupt nicht die Zeit hinter jede dieser Türen zu schauen, zu entdecken, was dahinter ist, und zu entscheiden, welcher Weg für uns der richtige ist. Wir werden durch hohe Erwartungen von ganz oben oder auch von der Familie in eine Rolle gezwängt, in die man gar nicht reinpasst und auch gar nicht reinpassen will.
Und wieder stellt sich die Frage: Wann werden die Schüler denn mal gefragt?

Ist es heutzutage wirklich normal, dass einer von zwei Schülern an Depressionen leidet und mit Sicherheit jeder von ihnen bereits in jungen Jahren Zukunftsängste hat? Ist es wirklich normal geworden, dass die Welt die Augen davor verschließt, wenn sich Jugendliche von Brücken stürzen, weil sie mit dem ganzen sozialen Druck, der auf ihnen lastet, nicht umgehen können? Wenn das wirklich Normalität ist, dann möchte ich kein Teil dieser Gesellschaft mehr sein.

Freizeit ist für Schüler heutzutage ein Fremdwort, entweder, weil sie ihre gesamte Zeit Zuhause mit lernen, Hausaufgaben und Referatsvorbereitungen verbringen, oder weil sie sich in ihren Depressionen im Bett verstecken und schlafen, schlafen, schlafen, sich gar nicht mehr für ihre Noten interessieren, ist ja eh alles egal, ich packs ja eh nicht. Oder weil sich manche einfach das Hirn wegsaufen und wegkiffen und wegrauchen und wegfeiern, einfach nur, um ihren Problemen zu entfliehen, die Jugendliche nun einmal verständlicherweise haben und die sie nicht einfach so bewältigen können. Oder weil sie Wendy lesende Voltigierkünstler, Ballettänzer, Geigenspieler, Pfadfinder und Messdiener sind.

Mich macht die gesamte Situation einfach nur sauer. Ich habe das Gefühl, dass das Bildungssystem schon lange nicht mehr demokratisch ist und ich will nichts heraufbeschwören oder sonst was, aber das, was zurzeit da oben abgeht, nimmt schon diktatorische Züge an. Man sollte sich mal darüber klar werden, was wichtiger ist, Arbeitskräfte, die jede Woche krank sind, die sich in ihren Gebieten nicht richtig auskennen (können), die schon früh Burn Outs erleiden. Oder Arbeitskräfte, die mehr Zeit zum Lernen hatten, die mit Leidenschaft in ihrem Beruf arbeiten, die sich auskennen.

Das Traurige ist, dass man nichts an der derzeitigen Situation ändern kann. Man kann demonstrieren, Briefe an das Bildungsministerium schicken, Petitionen unterschreiben lassen. Aber im Endeffekt machen doch eh alle, was sie wollen. Und eigentlich bringt es gar nichts, sich darüber aufzuregen. Aber trotzdem, Oma, Opa: Schule ist nicht so einfach wie ihr immer denkt. Schule ist anstrengend, Schule ist stressig, Schule nimmt dir die Möglichkeit dich selbst zu entwickeln und auch mal Freizeit zu haben und das nur, weil irgendwelche Heinis sich irgendwann überlegt haben, dass ihre tollen deutschen Schüler nicht die Leistungen in bestimmten Bereichen erbringen, die sie sich erhofft hatten.

Applaus Deutschland, du verdienst einen Orden für deine grandiose Bildungspolitik.

Bevor ich noch einen Herzinfarkt bekomme, verabschiede ich mich von diesem Blogpost, eigentlich sollte ich den nochmal überlesen und auf Rechtschreibfehler überprüfen, aber ich glaube, dass es nicht ganz so gut für meinen Blutdruck wäre, wenn ich mich jetzt weiterhin mit diesem Thema befasse.

Also, bleibt stark!


In Liebe, Vivi.

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